Foto: Universität Bremen
Seit September 2022 ist Jutta Günther Rektorin der Universität Bremen. Sie wird Rektorin in einer Zeit, in der Wandel und Transformation die Schlagworte sind. Tom-Eric Grieme (Mitglied des Landesvorstandes der Bremer SPD) hat sie deshalb gefragt, was sie mit der Uni vorhat und warum wir die Wissenschaft gerade jetzt besonders brauchen.
Frau Günther, Sie haben selber eine klassische Aufstiegsbiografie hingelegt und ihr Abitur über den zweiten Bildungsweg erreicht. Bevor es an die Uni ging, machten Sie eine Ausbildung zur Apothekenhelferin und pharmazeutisch-technischen Assistentin. Hätten Sie damals gedacht, dass Sie einmal Rektorin einer Universität werden?
Nein, daran habe ich natürlich nicht gedacht. Ich hätte zum damaligen Zeitpunkt auch gar keine Vorstellung davon gehabt, was es bedeutet, Rektorin an einer Universität zu sein. Ein akademischer Werdegang war für mich nicht vorgezeichnet und ohne Abitur, nach zwei beruflichen Ausbildungen, war das auch sehr unwahrscheinlich. Aber ich war immer schon sehr neugierig darauf, Neues zu entdecken und auszuprobieren. Das hat sich auf meinen beruflichen Weg übertragen. Nach einer Tätigkeit als technische Assistentin im Entwicklungsdienst in Südamerika, entschied ich mich für den zweiten Bildungsweg und ein sozial- und wirtschaftswissenschaftliches Studium an der Universität. Wissenschaft hat mich seitdem nicht mehr losgelassen.
Nach ihrer Wahl zur Rektorin haben Sie den Wandel hin zu einer Klima-Uni als wichtiges Ziel benannt. Was bedeutet dies für die Universität und wie können Bremen und Bremerhaven davon profitieren?
Die Universität hat sich zu den Leitthemen „Nachhaltigkeit, Klimagerechtigkeit und Klimaneutralität“ bekannt. Es geht uns darum, gesellschaftliche Verantwortung im Rahmen der universitären Möglichkeiten zu übernehmen: in der Lehre und Forschung ebenso wie auf dem Campus, da die Uni auch ein großer Betrieb ist. Unser höchstes Beschlussgremium, der Akademische Senat, mit Vertreter:innen aller Statusgruppen hat im April 2022 beschlossen: „Nachhaltigkeit ist das grundlegende Leitprinzip der Universität Bremen“. Das ist bei uns kein Lippenbekenntnis, sondern eine Aufgabe, die wir sehr ernst nehmen. Dabei arbeiten wir auch mit den anderen staatlichen Hochschulen des Landes zusammen. Das ist gut für Bremen und Bremerhaven! Mit der „Klima-Uni“ – tatsächlich geht es um mehr als „nur“ Klima – wird die Universität zukunftsgewandter und attraktiver für Studierende und junge Wissenschaftler:innen der verschiedenen Karrierestufen.
Sie haben dabei vor allem die Bedeutung der Geistes- und Sozialwissenschaften betont, welche Rolle nehmen diese Fächer dabei [bezogen auf die Klima-Uni] ein?
Sie nehmen eine sehr wichtige Rolle ein. Mit Blick auf die Klimakrise und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen steht die Menschheit vor globalen Herausforderungen und epochalen Veränderungen. Es geht längst nicht mehr nur um technische Lösungen zur Reduktion klimaschädlicher Emissionen, sondern um eine sozial-ökologische Transformation aller Lebensbereiche. Das heißt, es geht auch um eine massive kulturelle Veränderung, die in den Köpfen der Menschen und in unserem Handeln Niederschlag findet. Wie sollte man das ohne die Geistes- und Kulturwissenschaften verstehen und bewältigen? Neue Technologien, alternative Energieversorgung, zukunftsorientierte Mobilitäts- und Produktionskonzepte, all das ist nicht losgelöst von unserer Geisteshaltung.
Mit dem Stahlwerk haben wir in Bremen einen bedeutenden Industriezweig, der auch im Zentrum der sozial-ökologischen Transformation steht. Vor allem das Thema Wasserstoff hat hier besondere Bedeutung und auch die Uni beschäftigt sich im Rahmen des Projektes „hyBit“ mit den Möglichkeiten von Wasserstoff. Was erhoffen Sie sich von dem Projekt für das Stahlwerk und andere Betriebe im Land Bremen?
Der Betrieb des Stahlwerks steht durch die Klimakrise und nun auch durch die Energiekrise vor gigantischen Herausforderungen. Um die Emissionen zu senken, existieren Pläne, den Betrieb langfristig komplett auf grünen Wasserstoff umzustellen. Mit der Umsetzung wurde bereits begonnen – Wasserstoff aus Elektrolyse, aber die explodierenden Stromkosten durchkreuzen die Pläne derzeit völlig unerwartet. Das Projekt „hyBit“ – es steht für „Hydrogen for Bremen’s Industrial Transformation“ – setzt genau da an: die Transformation zu beschleunigen und Beiträge zu leisten, um eine verlässliche Wasserstoffwirtschaft für und rund um das Stahlwerk aufzubauen. Es geht auch um neue Wärmeversorgungs- und Mobilitätskonzepte in den angrenzenden Quartieren. Aus der Universität sind elf wissenschaftliche Teams aus den Technik-, Geistes- und Sozialwissenschaften beteiligt. Es fließen rund 30 Millionen Euro an Bundesmitteln nach Bremen, die wir wettbewerblich eingeworben haben. Diese große Summe zeigt, wie wichtig und ambitioniert das Projekt ist. Bremen nimmt zudem die Rolle eines Vorreiters ein. Bremen zeigt, wie auch an anderen Standorten in Deutschland und Europa die industrielle und gesellschaftliche Transformation gelingen kann.
Die sozial-ökologische Transformation, aber auch die Digitalisierung werden in den nächsten Jahren nicht nur die Industrie, sondern auch die Arbeitswelt verändern. Dies bedeutet für viele Arbeitnehmer:innen neue Anforderungen oder eine Neuorientierung. Welchen Beitrag leistet die Uni jetzt schon im Bereich der Weiterbildung und welche Potentiale gibt es für die Zukunft?
Die Universität trägt mit der Akademie für Weiterbildung dazu bei, Angebote zu ökologischen Themen in den Bereichen Technik, Recht und Verwaltung zu machen. An der Universität selbst wird ein neuer Studiengang „Sustainability for the Natural Sciences“ aufgelegt, der Studierenden von Beginn an fachbereichsübergreifende Kompetenzen vermittelt. Die Zeit ist reif für interdisziplinäre Lehr- und Lernkonzepte und systemische Ansätze. Ich wünsche uns weitere Studienangebote im Bereich der Energiesysteme. Das Bremer Forschungszentrum für Energiesysteme (BEST), welches am Projekt „hyBit“ maßgeblich beteiligt ist, hat erste Pläne für einen Masterstudiengang im Bereich Wasserstofftechnologien. So befruchten sich Forschung und Lehre gegenseitig. Insgesamt ist im Bereich der Weiterbildung an der Universität noch „Luft nach oben“. Das liegt auch daran, dass Professor:innen ihre Lehrstunden nur in Studiengängen und nicht in der Weiterbildung bilanzieren können. Wenn wir da weiterkommen wollen, müssen wir auch administrativ nachsteuern. Das geht nur mit der Senatorischen Behörde gemeinsam.
Bei der Frage, wie wir Gesellschaft und Universität stärker miteinander verknüpfen können, wird auch immer wieder ein zweiter Campus in der Innenstadt diskutiert. Worin liegen Ihrer Meinung nach die Chancen eines solchen Projektes?
Die Chance besteht für beide Seiten – Universität und Stadtgesellschaft – darin, sich räumlich und damit hoffentlich auch menschlich näher zu sein und schneller in den Austausch zu kommen. Es wird auch leichter, Forschungsdesigns umzusetzen, an denen Menschen ganz direkt aus der Bevölkerung teilnehmen. Und schließlich: an Gebäuden in der Innenstadt vorbei zu laufen, auf denen steht: „Universität Bremen“, das macht uns sichtbarer und ruft Bremer:innen wie Besucher:innen in Erinnerung, dass es uns gibt. Wenn Universität gesellschaftliche Verantwortung übernehmen will, und wenn die Bremische Gesellschaft von der Universität profitieren möchte, braucht es Begegnung. Die wird noch leichter, wenn man „mal eben vorbei schauen“ kann.